Deutsches Theater
(Seite-3-Text aus der Süddeutschen Zeitung()
„Rammstein” stehen auf dem Index – und füllen die Arenen der Welt. Die Band des obskuren Genres "Neue Deutsche Härte" ist Deutschlands erfolgreichster Pop-Export. Und wie alle weltweit erfolgreichen deutschen Pop-Exporte erfüllen sie vor allem die Erwartungshaltungen der Welt an Deutschland. Ganz so leicht ist es allerdings nicht, ihnen auf die Spur zu kommen. Denn da ist noch der deutsch-deutsche Kulturkampf, der um die Band tobt.
Spricht man das Wort „Rammstein” möglichst hochdeutsch aus, so hat es alle Eigenschaften, die deutsche Wörter brauchen, um von Nicht-Deutschsprachigen als deutsche Wörter erkannt zu werden. Es hat harte Konsonanten, die nur kurz von gellenden Vokalen unterbrochen werden. So wie Bratwurst, Sauerkraut, Blitzkrieg, so wie der teutonische Kauderwelsch, den Charlie Chaplin als „Der große Diktator” ins Mikrofon brüllt, oder die Lautmalereien, mit denen sich Fernsehkomiker in anderen Ländern über uns Deutsche lustig machen.
Spricht man das Wort „Rammstein” im Kreis deutscher Kulturmenschen aus, sieht man in überaus schmallippige Gesichter. Rammstein sind ein sagenhaft erfolgreicher deutscher Kulturexport, und es kann irgendwie nicht angehen, dass eine Band, die so unverhohlen dreist deutschen Martialismus orchestriert wie auch persifliert, draußen besser ankommt als das, was dem Goethe-Institut in den Kram passt.
Wie schön, wenn man die Musiker, die sich auf der Bühne aufführen, als wollten sie Geiseln nehmen, mal trifft: Sechs nicht mehr ganz junge Herren, die in den neuen Bundesländern schon Rockmusik gespielt haben, als die noch die DDR waren. Der Gitarrist Paul Landers zum Beispiel. Was für ein netter Mensch. Er holt einem erst mal ein Bier, obwohl er selbst nur Tee trinkt so kurz vor dem Auftritt. Ganz sicher ist es ein Missverständnis, dass man Rammstein in so unangenehme Ecken gestellt hat. Nur kommt man diesem Missverständnis nicht gleich auf die Spur.
Vor dem Pavelló de Olímpic de Badalona drängen sich an diesem Abend viele tausend Katalanen, die meisten jung, männlich und schwarz gekleidet. Ein paar Deutschlandflaggen flattern auch über der wartenden Menge. Mit denen wedeln allerdings nicht die angereisten deutschen Fans, sondern die Einheimischen. Für Metallica würden sie ein Sternenbanner und für Motörhead den Union Jack ausrollen. „Hier werden wir so wahrgenommen, wie wir uns auch selbst wahrnehmen”, sagt Landers und lehnt sich im kahlen Garderobenraum an einem der endlosen Betongänge des Pavelló in das kleine Kunstledersofa: „Wenn wir im Ausland sind, behandeln sie uns normal, wie eine Band halt. Die haben hier natürlich keine Probleme mit der ganzen deutschen Ikonographie.”
In einer guten Stunde wird Landers mit einer langstieligen Axt eine schwarze Wand durchschlagen, nur mit einem schwarzen Lederschurz bekleidet durch die Öffnung steigen und vor die katalanischen Fans treten. Sänger Till Lindemann wird neben ihm in einer roten Schlachterschürze und einer roten Federboa „Rrramm!” ins Mikrofon brüllen. Landers wird dann gemeinsam mit dem anderen Gitarristen der Band – Richard Kruspe – antworten: „Sssschtein!” Dazu werden Landers und Kruspe dann eine besonders bebende Sorte von Akkordwänden spielen, und zwar in einer Lautstärke, als gehe es darum, allen hier in der Halle quasi den Kopf vom Rumpf zu kegeln. Das wird dann wirklich sehr teutonisch wirken und ein bisschen gruselig, aber genau deswegen werden die Katalanen im Gleichtakt ihre Fäuste in die Luft schwingen und in den gutturalen Refrain einfallen.
Es sind genau diese Momente, wegen denen man Rammstein daheim – in Deutschland – mit so viel Misstrauen begegnet. Der bodenlange schwarze Ledermantel, den Kruspe da trägt, ist das nicht eigentlich ein SS-Mantel? Und die riesigen, runden Blechwannen mit den Scheinwerferbatterien, die die Bühne von hinten bestrahlen, erinnern die nicht an Flakscheinwerfer? Und was bitte sollen Songs wie „Links 2 3 4”?
Rammstein geht es da ein bisschen wie anderen deutschen Bands, die Welterfolg hatten. Es geht ihnen wie: Kraftwerk und Can. Das waren Bands, die verdammt deutsch klangen und die so gar nichts mit den Beatles, den Stones, Bob Dylan und diesem ganzen angelsächsischen Musikerbe zu tun hatten, auf dem die Popkultur des späten 20. Jahrhunderts aufbaute. Karl Bartos von Kraftwerk sagte mal, dass die Schönheit von Beatles-Songs eh nicht mehr zu erreichen sei, also habe man sich bei Kraftwerk eben gleich auf deutsche statt auf angelsächsische Traditionen berufen. In den deutschen Weltstars spiegelte sich dann das deutsche Bild in der Welt. Das eine waren die Elektroingenieure von Kraftwerk und die Tüftler von Can. Und was kam dann? Von Rang?
Auswärts herrscht ein wirklich sehr reges Desinteresse an unserer gegenwärtigen Kultur. Die des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, das ist und bleibt unser Exportschlager. Sicher spielen deutsche Symphonieorchester und Dirigenten in der ersten Liga, sicher gehören Goethe und Schiller auch in den USA zu einer humanistischen Bildung. Aber zeitgenössische Erfolge? Erweitert man die Popkultur auf den Film, dann bestätigt sich das Muster. Man darf nicht vergessen, dass in Deutschland schon vieles als Erfolg gefeiert wird, was im Ausland, und gerade in den Mutterländern des Pop USA und Großbritannien, nicht mehr ist als Exotika. Wenn ein Film in ein paar Filmkunstkinos in US-Großstädten läuft und in der New York Times eine gute Kritik bekommt – dann ist das beachtlich. Mehr nicht.
Was dann doch Erfolg hat, das bedient die Erwartungshaltungen, die die Welt an Deutschland hat. Düster und melancholisch, voller Pathos und Schwere soll deutsche Kultur sein. Seelenlose Technokratie passt noch dazu. So sind es die hyperromantischen Filme von Wim Wenders und das immer etwas verquere, ungelenke Œuvre von Rainer Werner Fassbinder, die ihren Weg gemacht haben. Es ist die Kunst von Anselm Kiefer und Neo Rauch, die Fotografie von Andreas Gursky und den Bechers.
Die deutsche Kultur ist da nicht alleine. Es ist die Popkultur aus dem gesamten Kontinentaleuropa, die immer wieder an ihre Grenzen stößt. Weil Kontinentaleuropa seine Identitäten pflegt. Die beiden einzigen spanischen Stars von Weltrang? Antonio Banderas und Penélope Cruz. Erwartet man von denen nicht irgendwie nach jedem Auftritt, dass sie gleich beim Flamenco die Hacken auf den Boden schlagen? Und Frankreich? Chansonniers und Intellektuellenfilme. Italien? Celentano und Fellini. Deswegen feiert die Band mit dem Namen Rammstein Welterfolge. Das neue Album „Liebe ist für alle da”, das in Deutschland wegen der Sadomaso-Referenzen in dem Lied „Ich tu dir weh” pünktlich zum 20. Jahrestag des Mauerfalls auf dem Index landete: Steht in 17 Ländern in den Top 10. In acht davon auf Platz eins. In England und den USA immerhin noch in den Top 20.
Es fällt den Musikern nicht leicht, sich diesen Welterfolg zu erklären. Kalkuliert ist er nicht. Christian „Flake” Lorenz, der dürre Keyboarder mit der Hornbrille, sagt: „Wir sind im Ausland so erfolgreich, weil wir echt sind. Wir spielen dem Publikum überhaupt nichts vor.” Rammstein sind eine deutsche Band. Das heißt eben auch: deutsch singen, deutsch spielen. Paul Landers: „Wir versuchen einen natürlichen Umgang mit der eigenen Identität, den es in Deutschland natürlich nicht gibt. Deswegen haben es auch Ausländer schwer, Fuß zu fassen und sich zu identifizieren, weil: Womit sollen sie sich denn identifizieren, wenn die Deutschen selbst nicht deutsch sein wollen? Wir wollen das natürlich nicht mit der Brechstange durchziehen. Wir sind aber im Prinzip ein bisschen gezwungen, das zu tun, weil wir nun mal eine deutsche Band sind.” In den meisten Interviews betonen Rammstein, dass sie politisch links stehen – und man merkt den Musikern an, wie genervt sie sind, das jeweils betonen zu müssen.
Landers umklammert seinen Tee. Die ganze Band ist angekränkelt. Flake Lorenz hüstelt. Vorne auf dem Container steht eine Plastikkiste mit Hustensäften, Vitaminpräparaten und Erkältungstropfen. Die Temperaturschwankungen machen der Band zu schaffen – wenn es in den Hallen kalt und zugig ist und es dann zwischendurch kurz richtig heiß wird, weil die Scheinwerferbatterien von oben und die Flammenwerfer von unten die Luft auf der Bühne schockartig aufheizen, bevor dann während der nächsten düsteren Passage wieder ein kalter Luftzug über die Musiker fegt. Die Band wirkt hier hinten wie eine Fußballmannschaft, die sich vor dem Spiel schonen muss.
Auf der Bühne muss gleich zwar nicht ein ganzes Feld bespielt, aber große Bilder müssen mit Leben erfüllt werden. So kommt man dem Missverständnis Rammstein auch langsam auf die Spur. „Wir haben eine große Show”, sagt Landers. „Das macht so kaum einer mehr. Pink Floyd hat es damals gemacht. So ein Spektakel. So ein Theater.” Dazu passen auch Till Lindemanns Gesang und seine Texte im altmodischen Duktus des klassischen Sprechtheaters. Die letzte Strophe aus dem indizierten Lied „Ich tu dir weh” zum Beispiel:
Du bist das Schiff, ich der Kapitän
Wohin soll denn die Reise gehen?
Ich seh im Spiegel dein Gesicht
Du liebst mich, denn ich lieb' dich nicht.
Das klingt nach Otto Sander, nicht nach Ozzy Osbourne. Von ungefähr kommt das nicht. Till Lindemanns Vater war der Lyriker Werner Lindemann, der in der DDR ein paar Dutzend Gedichtbände und Kinderbücher veröffentlicht hat. Nach dem haben sie ein Jahr nach seinem Tode 1993 eine Grundschule in Rostock benannt. Und in den Ohren von Menschen, die des Deutschen nicht mächtig sind, klingen solche Texte eben typisch deutsch.
Rammstein sind sich dessen bewusst. „Es ist schwer, deutsche Rockmusik zu singen”, sagt Flake Lorenz. „Die Sprache ist nicht sehr melodisch, sie ist eckig. Die Amerikaner sagen, das klingt, als habe man den Mund voller Zähne. Für Ausländer ist Deutsch eine sehr aggressive Sprache. Das ist sicher auch ein Reiz für sie.” Für das neue Album haben Rammstein mit dem Klischee gespielt. Für die erste Single „Pussy” hat die Band Lindemann gebeten, einen Text zu schreiben, der vor allem aus deutschen Worten besteht, die in Ländern wie Amerika in den allgemeinen Wortschatz aufgenommen wurden. Da findet sich dann eine Strophe wie:
Zu groß, zu klein
Der Schlagbaum sollte oben sein
Schönes Fräulein, Lust auf mehr
Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr
Schnaps im Kopf, du holde Braut
Steck Bratwurst in dein Sauerkraut.
Lupenreine, katapultartige Komik, die mit Erwartungshaltungen spielt. Deswegen ist Kruspes Ledermantel eben auch keine Referenz an die SS, sondern eher ein Zitat aus Pink Floyds legendären Shows zu „The Wall” – als Roger Waters in einem ähnlichen Mantel auf die Bühne kam und „Eins, zwei, drei!” rief, bevor die Pyrotechnik explodierte und die Band den großen Hippietraum aus den siebziger Jahren beerdigte. Zu dem Song „Links 2 3 4” kommen nun – 30 Jahre nach Pink Floyd –, Rammstein im Stechschritt aus dem Bühnenboden, und Lindemann singt etwas, das er offenbar sehr ernst meint:
Kann man Herzen brechen
Können Herzen sprechen
Kann man Herzen quälen
Kann man Herzen stehlen
Sie wollen mein Herz am rechten Fleck
Doch seh ich dann nach unten weg
Da schlägt es links
Das hat er 2001 geschrieben. Zwei Jahre zuvor hatten Rammstein für die Coverversion des Depeche-Mode-Songs „Stripped” ein Video veröffentlicht, in dem sie Bilder aus Leni Riefenstahls Olympiafilm von 1938 verwendeten. Landers erinnert sich: „In manche Sachen stolpern wir dumm und naiv rein, wo man sagen müsste: ,Ihr seid so alt, und ihr benehmt euch noch wie Kinder!’ In dem Fall war es ein bisschen so. Ursprünglich bestand das Video aus zwei Bildebenen: Zum einen waren es die Riefenstahl-Bilder, zum anderen russische Bilder aus derselben Zeit. Aber die Bilder waren so schwach, die hatten nicht so eine Kameratechnik, die waren nicht so gut ausgeleuchtet. So sind die rausgeflogen aus dem Video. Und der Ärger war perfekt.”
Er weiß aber auch, warum sie sich immer wieder mit Bildern und Referenzen Ärger einhandeln. Bei ihrer aktuellen Tour – die sie von Montag an auch durch natürlich ausverkaufte deutsche Hallen führen wird – schürfen sie zwar nicht tief, aber doch weit in der Vergangenheit. Da ist das Sprechtheater genauso wie die Moritat, da sind die Revues aus dem Berlin der Weimarer Republik genauso wie die Filmsprachen von Murnau und Lang. Das alles ist angereichert mit Schockzitaten und Pyrotechnik. Aber es geht eben weniger um den Grusel der diversen Metal-Genres. Nein, Rammstein ist keine Metal-Band. Es ist ganz deutlich: Cabaret. Die ständigen Dynamik-, Licht- und Kostümwechsel, die Balladen und kleinen Spielszenen, die Kulissen im stählernen Design der frühindustriellen Metropolen und die Requisiten wie die Zinkwanne, in der Sänger Lindemann den Keyboarder Lorenz vermeintlich tötet wie ein Stück Vieh, und die beiden übermannshohen Teslaspulen, die blaue Stromblitze erzeugen – das alles kann man furchtbar finden, aber es hat in dieser umwerfenden Perfektion einen circensischen, pathetischen und immer wieder auch sehr komischen Sog.
Man kann Rammstein nun ihren sorglosen Umgang mit deutschen Bildern vorwerfen. Und genau da ist man auf der richtigen Spur. „Wir gehen mit den deutschen Bildern sicher entspannter um, weil wir aus dem Osten kommen”, sagt Landers: „Da gab es eine ganz andere Erziehung.” Alt genug, um sozialistisch sozialisiert zu sein, sind sie ja alle. Der Jüngste von ihnen ist der Bassist Oliver Riedel, und der ist auch schon 38.
„Das ist eine ambivalente Sache”, sagt Flake Lorenz: „Grundsätzlich war jeder Antifaschist. Ist man doch natürlich immer noch. Das wurde einem eingeimpft. Uns haben sie schon als Kind beigebracht, dass die Nazis von früher jetzt in der BRD Anwälte und Ärzte sind. Und dass es bei uns zum Glück keine Nazis mehr gibt!” Deswegen kommen die treibenden und sehr tanzbaren Rhythmen unter manchen Songs auch nicht aus der Militärmusik. „Arbeiterlieder liegen uns sehr nah”, sagt Lorenz: „Das war das Einzige, was mir damals im Musikunterricht Spaß gemacht hat. Und die Eindrücke aus der Kindheit werden immer die stärksten sein. Ich weine ja heute noch, wenn ich den ‚Kleinen Trompeter‘ höre, das ist einfach so drin.”
Auf das Verbot durch die Bundesprüfstelle in Deutschland sind sie nicht stolz. Auch wenn ihre alten Fans, die aus den neuen Bundesländern, feixen. Die verstehen ja den Witz, wenn die im Westen sich wieder mal über vermeintlich verbotene Anspielungen aufregen. Die wissen, dass sie sich da nichts vorzuwerfen haben.
„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind . . .?” Aus dem „Erlkönig” macht Till Lindemann: „Ein Flugzeug liegt im Abendwind – An Bord ist auch ein Mann mit Kind – Sie sitzen sicher, sitzen warm – Und gehen so dem Schlaf ins Garn.”
Die vielen Fans in Barcelona singen jede deutsche Zeile mit. Mag ja sein, dass es Gründe gibt, Rammstein nicht zu mögen. Aber deutsche Kultur im Ausland fördern sie ohne einen Cent aus Steuermitteln.